Friedrich Forssman

»Warum dauert denn das so lange?«
Zum Satz von »Zettel’s Traum«

(Erstveröffentlichung in: ›Des Dichters Aug’ in feinem Wahnwitz rollend ...‹. Dokumente und Studien zu ›Zettel’s Traum‹, herausgegeben von Jörg Drews und Doris Plöschberger, edition text + kritik)

Die uneinheitliche und unorthographische Schreibweise, die als erstes auffällt, ist keineswegs der wichtigste Grund. Arno Schmidts Bemerkung in »Vorläufiges zu Zettels Traum«: der – eigentlich wünschenswerte – Satz des Werkes werde daran scheitern, daß man »noch keine SetzerGeneration herangezogen« habe, die »Etyms gewohnt sei«, geht an den wirklichen Schwierigkeiten vorbei – das sorgfältige Abtippen des ganzen Werkes würde wohl nur wenige Wochen in Anspruch nehmen, zumal die phonetischen, Etymbetonenden oder interpunktorischen Schreibweisen sich durchaus wiederholen und bestimmten Normen unterliegen. Arno Schmidt hat keineswegs den Duden durch Willkür ersetzt, sondern dem orthographischen System andere Regularien zur Seite gestellt. Nein, die Dauer der Arbeit wird bestimmt durch eine tückische Mischung aus
– gegebener relativ geringer Satzbreite,
– Marginalien,
– sehr langen »Trennsilben« durch zahlreich angehängte Interpunktionen,
– fehlenden Absätzen,
– der Notwendigkeit eines Neu-Umbruchs
– und der Verschiebung der Spalten.

Daß die Satzbreite nicht besonders groß sein kann, hat zwei Ursachen: 1.) soll das Buch so klein wie möglich sein (es wird ohnehin nicht eben zierlich sein können), denn auch Handhabbarkeit gehört zu den Kriterien von Lesbarkeit – dem wichtigsten Ziel beim Setzen von Zettel’s Traum. 2.) kommen häufig Textstrukturen vor, die eine deutliche Überschreitung der Textmenge pro Zeile gegenüber dem Manuskript unmöglich machen. Ein Beispiel für eine solche Struktur ist die Parallelführung von Haupttextstrang und marginalen Etym-Entschlüsselungen: Wenn erheblich mehr Text in die Satz-Zeile paßt als in die Typoskript-Seite wird das Verhältnis »1 marginaler Kommentar pro Zeile« gestört und die Umsetzung der von Schmidt gewählten Darstellungsstruktur scheitert.
Die Satzbreite kann also nicht über das Maß einer üblichen Kolumne hinaus vergrößert werden. (Mit »Satzbreite« ist die Breite der Haupt-Textkolumne gemeint; »Zettel’s Traum« ist ein einspaltiger Text mit Marginalien – die eine Spalte alterniert freilich, mit einigen Varianten, zwischen drei möglichen Positionen.) Eine andere Satzart als Blocksatz kommt nicht in Frage: Nur der Blocksatz mit seinen geraden Satzkanten zeigt die strenge Layout-Struktur des Buches in aller Deutlichkeit (für die Schmidt, wenn eine korrekte Trennung innerhalb einer gewissen sehr schmalen Zone nicht möglich war, lieber unkorrekt getrennt hat). Außerdem ist Blocksatz in längeren Texten (und um einen solchen handelt es sich hier) besser lesbar, weil sich bei der einzigen denkbaren Alternative, dem linksbündigen Flattersatz, die Trenn-Zufälle und -Entscheidungen in der Flatterzone an den Zeilen-Enden immer wieder ins Bewußtsein schieben.

Der nächste erschwerende Faktor: die kleinsten Einheiten, zwischen denen getrennt werden kann, sind im Durchschnitt sehr viel größer als üblich. Beim Umbruch jedes Buches reißen lange Silben wie »deutsch« oder »Mensch« üble Löcher in den Schriftsatz, die man über mehrere Zeilen hinweg zum Verschwinden bringen muß (beim Blocksatz werden nur die Wortzwischenräume verändert und nicht etwa die Abstände zwischen den Buchstaben; dies letztere Vorgehen, das »Sperren«, würde als Hervorhebung wirken). »Zettel’s Traum« wimmelt von langen Interpunktions-Gebilden, die gar nicht oder nur im äußersten Notfall abgetrennt werden dürfen:
n Telegramm?!‹ ...« – :
Sozialismus‹ ...« / (: ?) / –) :
(die jeweils untrennbaren Gebilde sind unterstrichen; im zweiten Beispiel wäre auch die angegebene »erlaubte« Trennung nach dem Schrägstrich nicht eben willkommen, da auch das folgende typische Interpunktionsgebilde, das eine unmittelbare Reaktion auf das eben Gesagte ausdrückt, noch sehr eng zum vorigen Text gehört).

Das sind die Hauptschwierigkeiten, die innerhalb der Zeilen lauern. Die Zeilen aber fügen sich zu Kolumnen, und auch diese müssen neu umbrochen werden – denn wenn das Ziel wäre, den Textbestand jeder Typoskript-Seite auf je einer Satz-Seite unterzubringen, erhielte man einen um viele Zeilen in der Höhe differierenden Seitenfuß: Arno Schmidt hat das strenge Layout-Prinzip verständlicherweise nicht anschlaggetreu einhalten können, die Zeichenzahl pro Zeile schwankt erheblich. Bei Linksstellung der Textkolumne hat Schmidt meist einige Anschläge pro Zeile weniger getippt als in der Mitten- oder Rechtsstellung – was man kaum sieht, was sich beim Setzen aber addiert. Außerdem hat Schmidt ungefähr in der Mitte des Werkes die Schreibmaschine gewechselt; die zweite Maschine hat ein kleineres Schriftbild – was übrigens gelegentlich zu Schwierigkeiten führt: wenn der Autor mit der neuen Maschine kleineren Text in ältere Manuskriptseiten nachträglich hineingetippt hat, und etwa für ein marginales Textblöckchen nur ein bestimmtes Rechteck frei ist, eingeklemmt zwischen drei verschobenen Kolumnenkanten. Hier sind die Flächenverbrauchs-Proportionen gestört, die der Schriftsatz entsprechend dem Typoskript genau nachvollziehen muß, ein Prinzip, das bei solchen Schriftgrößen-Mischformen zwangsläufig versagt (ebenso bei gelegentlichen handschriftlichen Marginalien, da die Handschrift erheblich schmaler läuft als die Maschinenschrift).
Hinzu kommen größere Tilgungen bzw. Hinzufügungen des Autors. Der Versuch, den Textbestand pro Seite beizubehalten, würde dem strengen Schema der endlosen Textsäule also schmerzlich widersprechen.

»Endlose Textkolumne« ist auch gleich das nächste Stichwort: der Setzer steht beim Seitenumbruch eines konventionellen Buches häufig vor den sogenannten »Hurenkindern« (auslaufenden Zeilen am Kolumnenkopf) und »Schusterjungen« (beginnenden Absätzen am Kolumnenfuß). Sie werden klassischerweise vermieden, weil an diesen Stellen der Lesefluß etwas ins Stolpern geraten kann. Um sie zu vermeiden, wird Text »eingebracht« bzw. »ausgetrieben«: der Setzer sucht sich Absätze, deren letzte Zeile fast voll ist, und macht die Wortzwischenräume in diesem Absatz etwas weiter, oder er verfährt umgekehrt mit Absätzen, deren auslaufende Zeile nur aus wenigen Silben besteht. Nun hat »Zettel’s Traum« so gut wie keine Absätze. Dadurch gibt es zwar andererseits auch keine Hurenkinder und Schusterjungen, aber es gibt 1.) Marginalien, deren Zerteilung am Seitenende vermieden werden muß, und 2.) Textstrukturen wie etwa zweispaltige Parallelschaltungen innerhalb der Haupt-Kolumne oder Formsatz-Anwendungen (etwa auf den Typoskript-Seiten 10 und 309), und 3.) Bild-Einschaltungen.
Es wäre ganz und gar nicht wünschenswert, etwa eine 4zeilige Marginalie so zu umbrechen, daß 2 Zeilen noch auf der rechten unteren Seite stehen, und den Leser (der ohnehin entscheiden muß, ob und wann er die Marginalien liest) dazu zu zwingen, hin und her zu blättern, damit er sich von der Länge der Marginalie ein Bild machen, sie womöglich lesen und dann zur Unterbrechungs-Stelle zurückkehren kann. Ebenso störend wäre es, Formsatz-Elemente an Seitenenden zu brechen; sie würden dadurch an Prägnanz sehr verlieren. Bilder zu zerteilen kommt schon gar nicht in Frage. (Arno Schmidt selbst hat ganz offenbar teilweise in das Layout hineingetextet, also den Text etwas verlängert beziehungsweise gestrafft, damit er in die gewünschten Strukturen paßt. Trotz dieser gelegentlichen Tricks, wenn man sie überhaupt so nennen mag, bleibt immer wieder große Bewunderung für das Textflächen-Gefühl, das Schmidt gehabt haben muß.)
Wenn man also, »breit, mit Stabilo-Boss«, Striche an den Rand eines Reproduktions-Exemplar machte, um zu kennzeichnen, wo ein Seitenumbruch den Leser sehr stören würde, und doppelte Striche, wo ein Seitenumbruch schlechterdings verboten oder unmöglich wäre, blickte man bedenklich auf ein recht buntgemaltes Exemplar. Denn was soll der Setzer tun, wenn die Seite an einer störenden oder verbotenen Stelle umbrochen werden müßte? Die klassischen Methoden des Einbringens oder Austreibens versagen – mangels Absätzen. Bleibt nur die Möglichkeit, die Wortzwischenräume über sehr weite Strecken zu verändern, um die Kolumnenhöhen manipulieren zu können – und da sperren sich die genannten großen »Trennsilben«, mit denen ohnehin schon schwer ein sauberes Satzbild zu erzielen ist. Denn der Setzer muß im Auge behalten, daß im Zweifelsfall die kleinen Gebilde, die Wörter und Zeilen, wichtiger sind als die großen, die Kolumnen und der Umbruch: der Lesevorgang findet in diesen kleinen Gebilden statt, sie dürften am wenigsten irritieren. Wenn die Zeilen seitenlang sehr eng sind oder so licht, daß das Auge von Wort zu Wort springen muß, statt die Zeile entlang geführt zu werden, hat die Typographie ihren Zweck verfehlt. Dennoch ist das Ausweiten bzw. das Verengen von Wortzwischenräumen das wichtigste Umbruch-Instrument. Was auch hilft, ist, möglichst weitblickend zu setzen, und also Großgebilde, die nicht getrennt werden dürfen, schon ein Dutzend oder mehr Seiten vor ihrem Auftreten in Rechnung zu stellen, und die Kleinst-Entscheidungen, die bei aller am Anfang schon erwähnten Genormtheit immer noch auftauchen, entsprechend raumgreifend oder -sparend zu halten. (Und was bei all dem in hohem Maß hilft, die Feder sträubt sich, ist der außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit liegende Umstand, daß die wahren Katastrophen beharrlich eben nicht eintreten: Etwa sich widersprechende Umbruch-Notwendigkeiten am Kopf und am Fuß der gleichen Seite, oder die Frage, ob hier ein Formsatz oder dort ein Bild zerschnitten werden muß. (Es ist übrigens eine alte Typographen-Weisheit, daß ein Umbruch glatt geht, wenn man das Werk vorher gut analysiert und gestaltet hat, und daß ständige Widerborstigkeit von Text oder Bildern ein Indiz für schlampige Vorbereitung sind; aber auch das leuchtet nicht logisch ein, sondern führt auf pataphysische Abwege.))
Der Ausweg, einfach eine Zeile mehr oder weniger in die Kolumne zu quetschen, indem die Zeilenabstände etwas verringert werden, widerspricht nicht nur den Goldenen Zunft-Regeln (das wäre allemal zu verschmerzen), sondern würde 1.) auf dem nicht sehr dicken Papier die sogenannte »Registerhaltigkeit« sichtbarerweise zunichte machen, also das präzise Aufeinandertreffen der Zeilen auf Vorder- und Rückseite des Blattes sowie der nächsten Kolumne, was häßlich ist und beim Lesen etwas stört (da die durchschimmernden Zeilenbänder der Seite mehr Ruhe geben und dem Auge helfen, in der jeweiligen Zeile zu bleiben). Außerdem müßten, 2.), die Marginalien ebenfalls einen geringeren Zeilenabstand erhalten, damit die oben genannte Flächenverbrauchs-Proportion erhalten bliebe. Spätestens dadurch würden die veränderten Seiten eine geringfügig andere optische Wirkung haben, was bei einem so strengen Layoutkonzept nicht akzeptabel wäre.
Das Nichtvorhandensein von Absätzen in »Zettel’s Traum« bringt eine weitere Tücke mit sich: wenn während der Texterfassung Wörter oder ganze Zeilen vergessen oder doppelt getippt werden (ein so häufiges Phänomen, daß es dafür Extra-Setzerausdrücke gibt: »Leichen« bzw. »Hochzeiten«), helfen üblicherweise die auslaufenden Absatz-Zeilen beim Geringhalten des Korrekturumfanges, weil in solchen auslaufenden Zeilen mühelos einige hinzugefügte oder gestrichene Wörter »aufgefangen« werden können, so daß der weitere Umbruch unangetastet bleibt. Welche Verheerungen im liebevollen Umbruch von »Zettel’s Traum« eine vergessene Zeile hingegen anrichten könnte, ist klar. Da hilft nur ein Sofort-Korrektur-System, in dem die Zeilenanfänge der frisch gesetzten Kolumne am Bildschirm verglichen werden mit den entsprechenden Passagen des Typoskripts. Diese Zeilenanfänge müssen eine einigermaßen gleichmäßige, mehr oder weniger schräge Linie ergeben, sonst stimmt etwas nicht.

Nun die nächste Schwierigkeit: Der Übergang der Textkolumne von der Mitte nach links und rechts. Meist gibt es dafür einen hinlänglich deutlichen Grund, wenn etwa das Gespräch vom Alltäglichem weg wieder stark zu Poe tendiert oder sogar direkt aus seinem Werk zitiert wird. Schmidt selbst hat da zum Glück nicht ganz präzise in die Strukturen hineingetextet, sondern mit Übergangsfristen: es ist meist von Bedeutung, ob zu Beginn der Zeile der Wechsel in die neue Sinn-Ebene schon vollzogen ist. Dazu gibt es aber zwei Varianten:
1.) Manchmal wird gar nicht deutlich, warum die Kolumne ihre Position wechselt. Folglich ist es auch nicht leicht zu sagen, an welcher Stelle im Schriftsatz, der ja einen anderen Zeilenumbruch hat, der Wechsel vollzogen werden muß. (Übrigens sind gewiß genau diejenigen Stellen, an denen der Wechsel nicht ohne weiteres einsichtig ist, sinnvolle Anwendungen des Spaltenmodells. Hier bekommt der Leser durch die Position der Kolumne eine Zusatz-Information.) Das beste Mittel ist hier: den Übergang an der gleichen Stelle wie im Original zu vollziehen.
2.) Die Kolumne wechselt ihre Position an einer Stelle, bei der Schmidt an der Abruptheit dieses Wechsels hätte gelegen sein können. Das sind natürlich nur Stellen, wo auch im Typoskript Zeilenwechsel, Bedeutungswechsel und Kolumnenwechsel zusammenkommen. Jeder solche Fall könnte ein Zufall sein – aber sicherer ist es, auch hier dafür zu sorgen, daß der Schriftsatz diese Abruptheit ebenfalls aufweist und somit an den Leser weiterreicht. (Es gibt solche Stellen auch mitten in Kolumnen, wo Zeilen-Enden vielleicht besser erhalten bleiben sollten. Etwa Trennungen, bei denen schwer zu entscheiden ist, ob ein k-k in ck aufzulösen ist, oder ob ein Trennungsstrich vergessen worden ist (Bei dieser Gelegenheit ein besonderer Dank des Setzers an den Autor für die Differenzierung zwischen Trennstrich am Zeilenende und Bindestrich, für den Schmidt als Doppelstrichlein das Gleich-Zeichen verwendet hat).
Mit diesem Problem verwandt ist dasjenige, daß gelegentlich nicht herauszufinden ist, zu welcher Textpassage eine Marginalie eigentlich gehört. Auch hier ist das beste Mittel: die Manuskript-Zeile möglichst weitgehend in eine Satz-Zeile zu überführen, um die Zugehörigkeitsfrage lieber an den Leser durchzureichen als sie falsch zu beantworten.

Was unleugbar hinzutritt, ist ein gewisser sportiver Selbstzweck-Faktor, wie er wohl allen feineren Handwerken eignet. Von einem gewissen Punkt an geht es um das Erreichbare, und nicht nur das vom Benutzer vielleicht gerade noch bewußt Wahrnehmbare. Wobei auch diese letzten Feinheiten dem Ganzen hoffentlich eine Qualität verleihen, die sich im Leseprozeß eben doch mitteilt. Streng zu vermeiden ist jedenfalls, daß eines Tages Leser der gesetzten Fassung alle 10 Seiten das »Original« aufschlagen, um zu sehen, wie diese oder jene Merkwürdigkeit »eigentlich« aussieht.

Darum dauert das so lange.